Der Weg zum Elektrofahrzeug – Teil 1: Geschäftliche Herausforderungen

Jake Krakauer, Oracle Sales Strategy and Business Development, Industrial Manufacturing

Wir wollen nicht riskieren, die Marktentwicklung zu verpassen.

Jim Rowan Volvo Cars CEO

Die Elektrifizierung von Fahrzeugen stellt den bedeutendsten Übergang für die Automobilindustrie seit über 100 Jahren dar. Was sind also die wichtigsten Herausforderungen, vor denen die Branche bei dieser Transformation steht? Und welche Business Tools sind erforderlich, um die nächsten 5-10 Jahre effektiv zu meistern? Der Zweck dieses Beitrags besteht darin, den Kontext dieser Änderung (Teil 1) hervorzuheben und Lösungen (Teil 2) vorzuschlagen, die Automobilherstellern und -zulieferern helfen, geschäftliche Herausforderungen in Chancen für eine Neuerfindung und wirtschaftliches Wachstum zu verwandeln.

Ein Rückblick: Die ersten 115 Jahre

Henry Fords Einführung des Modells T im Jahr 1908 wurde seinerzeit als revolutionär angesehen. Aber eine spätere Innovation hatte wohl noch mehr Einfluss auf die neue Industrie. Um die Produktion zu beschleunigen, wurden die Fahrzeuge durch ein Seil und später durch eine bewegliche Kette durch eine Produktionsstraße gezogen, um eine schrittweise Montage zu ermöglichen. Dieser Prozess reduzierte die Produktionszeit von 12 Stunden auf 90 Minuten und senkte den Marktpreis von 825 US-Dollar im Jahr 1908 auf 260 US-Dollar im Jahr 1925 (Quelle: ford.com).

Seitdem hat es zahlreiche weitere Erfindungen gegeben, darunter Automatikgetriebe (patentiert 1923), Airbags (patentiert 1951), 3-Punkt-Sicherheitsgurte (Standard beim Volvo 122 aus dem Jahr 1959), Servolenkung und Antiblockierbremsen (1971) und eine dritte Bremsleuchte (NHTSA-Anforderung 1986). Aber die Umgestaltung des Antriebsstrangs ist ein wegweisendes Ereignis. Und ihre Auswirkungen auf Lieferketten, Vertriebsmodelle und Geschäftsstrategien bergen sowohl Chancen wie auch Gefahren.

Schnelles Wachstum: Ein perfekter Sturm?

Elektrofahrzeuge (Electric Vehicles EVs) gewinnen rasant an Marktanteil: 2022 machten EVs 5,8 % aller in den USA verkauften Fahrzeuge aus, gegenüber 3,2 % im Jahr 2021 (Quelle: Wall Street Journal). Weltweit waren rund 10 % aller Fahrzeugverkäufe EVs, und ihr globaler Umsatz wird laut Statista in den Jahren 2023-2027 voraussichtlich um eine CAGR von 17 % steigen. Während die Zahlen weiter wachsen, ist klar geworden, dass Elektrofahrzeuge eine disruptive Entwicklung darstellen, die das Ökosystem der Automobilindustrie nachhaltig verändern wird. Um das Produktportfolio sowohl bei Automobiltherstellern wie auch Lieferanten neu zu strukturieren, müssen unter anderem Geschäftsmodelle, Kapitalallokation, Lieferketten, die Beziehungen zu Händlern und Verbrauchern sowie die Personalstrategie überdacht werden.

Herausforderung: Das Geschäft neu erfinden

Strategie und Geschäftsmodell

Die meisten Führungskräfte in der Automobilbranche sind sich einig, dass der Übergang zu Elektrofahrzeugen unvermeidlich ist. Eine zentrale Frage dabei ist, wie schnell man den Wandel vollziehen sollte. Daraus haben sich divergierende Strategien ergeben.

Wall Street Journal, 22. Februar 2023

Automobilhersteller

Hersteller von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sehen sich der Herausforderung gegenüber, den mehrjährigen Übergang vom Verbrenner zu Elektrofahrzeugen zu modellieren. Die Unternehmen bewerten dabei, wie sie für die Verbrenner eine zuverlässige Lieferkette aufrechterhalten und gleichzeitig ihre Versionen für das Elektroauto mithilfe einer Kombination aus bestehenden Lieferanten, neuen Marktteilnehmern und vertikaler Integration voranbringen können – zum Beispiel, indem sie direkt in die Batterieproduktion oder die Lithiumgewinnung investieren. Reine Hersteller von Elektroautos haben hingegen eine einfachere Aufgabe, da ihre Fahrzeuge nur eine kürzere Lieferkette benötigen.

Zulieferer

Angesichts einer disruptiven Transformation, wie sie nur alle hundert Jahre vorkommt, denken Lieferanten über strategische Optionen nach. Diese beinhalten Möglichkeiten für Partnerschaften, Fusionen und Akquisitionen sowie die Alternative, sich von Teilen ihres Geschäfts zu trennen. Insbesondere Zulieferer von Antriebssträngen müssen ihr Produktportfolio umgestalten und Geschäftsmodelle neu ausrichten, da ihre Herstellerkunden zunehmend zu Elektroautos wechseln. Veränderungen im Produktmix werden sich auf die Dynamik der Versorgungslinien auswirken, sowohl bei der vorgelagerten Beschaffung wie auch beim nachgelagerten Service.

Lieferanten mit umfangreichen Lieferketten könnten es schwierig finden, sich an die Änderungen der Programmanforderungen der Hersteller anzupassen und bestehende Einnahmequellen zu behaupten, während sie gleichzeitig versuchen, den Umsatz bei Elektrofahrzeugen zu steigern. Es besteht daher ein Bedarf an Tools zum Vermischen von Modellen und zum Erzielen von Rentabilität, da die Programme für Verbrennerautos schrumpfen und die Programme für Elektroautos an Bedeutung gewinnen.

Aftermarket

Da das Verkaufsvolumen bei Verbrennern abnimmt, könnte die Nachfrage nach Ersatzteilen von Fahrzeughaltern, die ihr Auto instandhalten wollen, rentabel sein. Allerdings nur bis die Rate der Fahrzeugstilllegungen ein gewisses Niveau erreicht. Sowohl Automobilhersteller wie auch Zulieferer können davon profitieren, vorausgesetzt, sie finden eine Balance zwischen anhaltenden Umsätzen und Gewinnmargen und solchen, die rückläufig sind.

Anzahl und Komplexität der Teile

Elektrofahrzeuge bestehen im Durchschnitt nur aus etwa der Hälfte der Teile im Vergleich zu Benzin-Fahrzeugen – 15.000 gegenüber 30.000. Während der ein batteriebetriebener Antriebsstrang die Anzahl der Teile erheblich reduziert, umfasst der Antriebsstrang bei Eleketroautos 51 % der Fahrzeugkosten im Vergleich zu 18 % beim Verbrenner (Quelle: Leandesign.com). Da weniger Teile (insbesondere bewegliche Teile) Verschleiß und Ausfall unterliegen, benötigen Elektrofahrzeuge weniger Wartung und Serviceleistungen, auch wenn der Batteriewechsel kostspielig ist.

Vertrieb und Verbraucher

Digitalisierung, Mobilität, fortschrittliche Automobiltechnologie, die Informiertheit der Kunden, elektrifizierte Antriebsstränge und vernetzte Dienstleistungen verändern die Art und Weise, wie Fahrzeuge verkauft und gewartet werden.

Mit der fortschreitenden Weiterentwicklung des digitalen Verkaufs werden mehr Fahrzeuge direkt vom Hersteller zum Verbraucher verkauft. Dieses Direct-to-Consumer-Modell schafft neue Möglichkeiten für Automobilhersteller, die Vertriebskosten zu senken und gleichzeitig ihr Wissen über die Kunden zu erweitern. Die Hersteller erkennen die Chancen von Mobilitätsabonnements, einschließlich datenreicher Unterhaltung, Versicherungen und Upgrades, die Fahrzeugleistung und -effizienz verbessern. Der Übergang von der Hardware-Montage zu softwarebasierten Services ist Teil einer Geschäftsmodelltransformation, die engere Beziehungen zu den Verbrauchern und eine geringere Abhängigkeit von Händlernetzwerken ermöglicht.

Obwohl Händler sich aufgrund des geringeren Wartungsbedarfs und der geringeren Anzahl von Teilen bei Elektrofahrzeugen einem allmählichen Rückgang des Servicegeschäfts gegenüber sehen, entwickeln sie ihr eigenes innovatives digitales Vertriebsmodell und nutzen lokale Präsenz und Servicefähigkeit, um einen direkten Kontakt zu den Verbrauchern zu erhalten und engere Beziehungen aufzubauen.

Nachhaltigkeit

Die Verlagerung des Produktmixes von Verbrennern zu Elektroautos hat das Potenzial, zu einer weniger kohlenstoffzentrierten, nachhaltigeren und kreislauforientierten Wirtschaft beizutragen, was sich auch positiv auf das Marken-Image auswirkt. Sowohl Hersteller als auch Lieferanten stehen jedoch immer noch vor Herausforderungen in Bezug auf das Treibhausgas (THG)-Protokoll bezüglich Emissionen, insbesondere die Scope-Level 2 und 3 bei ihren Lieferketten.

In einem Whitepaper von Western Asset ESG heißt es: „Die Nachfrage nach Strom ... wird zusammen mit dem Erfolg der Elektrofahrzeuge steigen. Die Nachfrage nach Kupfer, Lithium, Kobalt und Nickel wird ebenso entsprechend zunehmen. Überlegungen bezüglich ESG sind für Bergbauunternehmen von entscheidender Bedeutung, da sie nicht nur ihre inhärenten Sicherheitsrisiken bewältigen, sondern auch auf die Auswirkungen auf die Umwelt und die soziale Verantwortung Rücksicht nehmen müssen. Effektive Governance ist unerlässlich, um diese Risiken zu bewältigen, nicht nur für Bergbauunternehmen im eigenen Unternehmen, sondern auch für Automobilunternehmen“ in Bezug auf die Scope-2- und Scope-3-Kennzahlen bei ihren Lieferketten.

Vorschriften

Die behördlichen Auflagen zwingen Hersteller und Lieferanten, ihre mittel- und langfristigen Pläne für die Produktumstellung zu beschleunigen. Analysten stellten laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change fest, dass der Transport etwa 23 % der globalen energiebezogenen Treibhausgasemissionen ausmacht und der Straßenverkehr 72 %. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen verlangt Kalifornien, dass bis 2035 alle dort verkauften Neufahrzeuge Elektroautos oder Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeuge sein müssen. Das Europäische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge in der Europäischen Union ab 2035 verbietet, und andere Länder ziehen dabei nach.

Personal

Hersteller stehen bei der Einstellung und Bindung von qualifizierten Arbeitskräften, um ihre Geschäfte auf allen Ebenen zu unterstützen, weiterhin Schwierigkeiten gegenüber – von der Produktionslinie und Montagehalle bis hin zum Maschinenbau und Management. Der Automobilsektor wird laut Keith Walters, CEO von Ennis, Inc. bis 2025 einem weltweiten Mangel an 2,3 Millionen Fachkräften gegenüberstehen. 2030 werden 4,3 Millionen erwartet. Lieferanten stehen vor der Notwendigkeit, die Fahrzeugprogramme der Hersteller für Verbrenner und Elektroautos gleichermaßen zu unterstützen – im Wesentlichen verdoppelt sich dadurch die Arbeitsbelastung für Programmmanager, die daher zur Unterstützung der Programme bessere Produktivitätstools benötigen werden.

Ford nimmt sich dieser Herausforderung an, indem es einen signifikanten organisatorischen Wandel vollzieht, der seine traditionellen Verbrenner-/Lkw-Operationen von den Mobilitäts-/Eleltrofahrzeug-Operationen trennt. Das Unternehmen hofft, dass diese Trennung mehr technisch versierte Talente für sein Mobilitätsgeschäft anzieht, einschließlich von Software-Programmieren und Ingenieuren für fortschrittliche Antriebsstränge. Beim Verbrennergeschäft konzentriert man sich hingegen weiterhin auf die Weiterbildung der Mitarbeiter und die Automatisierung und Anreicherung durch erweiterte Funktionen.

Stromquelle: Lade-Netzwerk

Um die zunehmende Nutzung von Elektrofahrzeugen zu unterstützen, ist eine umfassende elektrische Ladeinfrastruktur erforderlich. Das Laden von Elektrofahrzeugen muss schließlich ebenso flächendeckend wie die heutigen Tankstellen werden. Es kann jedoch an Orten, an denen Strom verfügbar ist, eine noch breitere Präsenz aufweisen. Das schließt Häuser, Unternehmen, Büroparks und öffentliche Ladeplätze mit ein.

In seinem kürzlich erschienenen Artikel „How carmakers are crafting the EV-charging experience“ berichtet eenews.net, dass außer Tesla „die meisten Autohersteller keine Führungsrolle beim Bau von Ladestationen, die ihren Namen tragen, übernehmen ... Diese Aufgabe fällt in der Regel an einen Anbieter von Ladegeräten, der die Arbeit übernimmt, einen Verpächter zu finden, die rechtlichen und und Immobilienvereinbarungen auszuhadneln, mit einem Energieunternehmen zusammenzuarbeiten, um Kabel an den Standort zu verlegen, die Station zu bauen und die Finanztransaktionen der Kunden sowie Reparaturen und Kundenservice zu handhaben ... Die wichtigste Finanzierungsquelle sind dabei die 7,5 Milliarden US-Dollar, die der amerikanische Kongress im Jahr 2021 im Infrastructure Investment and Jobs Act genehmigt hat. Die oberste Priorität dieses Programms ist der Aufbau eines umfassenden Netzwerks von Ladestationen an den Autobahnen, gefolgt von Standorten in Städten.“ Aber es bleibt eine Chance für Automobilhersteller, das geschäftliche Wachstum zu fördern. Zugleich stellt es möglicherweise aber auch eine Einschränkung dar.

Die nächsten Schritte

Das Wachstum des Elektroautomarktes bietet Herstellern und Lieferanten Chancen und Risiken. Für beide gibt es keinen Mangel an Dingen, die bei der Verlagerung der Prioritäten im Rahmen des Übergangs zur Elektrofahrzeugen zu berücksichtigen sind. Die gute Nachricht ist, dass es Tools und Techniken gibt, die dabei Unterstützung bieten können.In „Teil 2: Der Übergang“ werden wir auf einige der Lösungen eingehen.

In der Zwischenzeit laden wir Sie ein, bei Oracle Automotive Solutions mehr darüber zu erfahren, wie Oracle Automobilhersteller und -Lieferanten bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge unterstützt.