Prasanna Venkatesan, Director, Digital Transformation
Technologische und demografische Veränderungen führen zu massiven Umwälzungen für Unternehmen in allen Branchen. Verbraucher – insbesondere jüngere – bevorzugen einen vernetzten, mobilen Lebensstil, bei dem der „Zugriff über Apps“ im Mittelpunkt steht. Aber auch Unternehmen sind Teil dieses Trends, da sie ständig nach Möglichkeiten suchen, ihr Kapital effizienter einzusetzen und gleichzeitig die Flexibilität zu bewahren, die neuesten Tools zu nutzen, um schnellere Innovationen zu ermöglichen.
Diese Entwicklungen verändern grundlegend die Art und Weise, wie Verbraucher mit allem interagieren – von den Marken, die sie verwenden, bis hin zum Kauf von Waren. Viele Verbraucher und Unternehmen sind nicht mehr auf der Suche nach eigenen Produkten, da diese laufende Kosten und dauerhafte Verantwortung mit sich bringen. Stattdessen möchten sie nur die Funktionen eines Produkts je nach Bedarf erwerben.
Warum sollte man sich mit Parkgebühren, Versicherungen und den Reparaturkosten eines Autos herumschlagen, wenn man Fahrten über Mitfahr-Apps wie Uber und Lyft buchen kann? Insbesondere Stadtbewohner empfinden dies als intelligentere und weniger beschwerliche Art zu leben.
Diese Transformation läutet das Zeitalter der Servitization (zu Deutsch etwa: Verdienstleistung), oder wie der Laie sagen würde, das Zeitalter des Anything-as-a-Service (Alles-als-Dienstleistung) ein. Damit etablierte Marken vor diesem Hintergrund überleben können, müssen sie sich an diese neue Entwicklung anpassen. Dies könnte Prozess- und Technologieänderungen zur Ausführung neuer Liefermodelle, neue Preis- und Abrechnungsmethoden und sogar die Entwicklung neuer Produkte beinhalten, die neue Servicearten ermöglichen. Im Mittelpunkt dieses Geschäftsmodells steht die Möglichkeit, Daten, das Internet of Things (IoT), Automatisierung und erweiterte Analysen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) zu nutzen, um Anything-as-a-Service bereitzustellen. Dies sind die technischen Grundlagen, die Anything-as-a-Service für Hersteller möglich machen, sowohl hinter den Kulissen (z.B. Automatisierung der personalisierten Inhaltsbereitstellung) als auch gegenüber den Verbrauchern (z.B. Chatbots, um Kundenserviceabteilungen von Routineanfragen zu entlasten).
Wir können beobachten, dass die Servitization bereits in vielen verschiedenen Märkten Einzug hält. Spotify zum Beispiel steht für die Servitization von Musik. Mit diesem Musik-Abonnement-Service erwerben Verbraucher einfach den Zugriff auf Musik gegen eine monatliche Gebühr. Man kauft keine physischen Güter mehr – sondern nur noch den Service. Ein weiteres Beispiel ist das Aussterben der Fernsehkabel. Live-Streaming-Dienste wie Netflix, Disney+ und vielen andere bieten Zugang zu Inhalten, ohne dass dafür Satellitenschüsseln oder Kabeldosen benötigt werden. Ein großer Teil der Menschen hat einfach nicht mehr das Bedürfnis, „Dinge“ zu besitzen. Sie wollen die Produkte und Dienstleistungen einfach nur nutzen, solange sie diese benötigen – und das gilt sogar für Möbel und Bücher. Unternehmen wie Feather und Chegg profitieren von diesem wachsenden Trend, indem Sie Abonnements für Möbel und Bücher anbieten.
Inzwischen ist die Servitization auch in der B2B-Welt angekommen. Branchen aller Art verlagern ihren Schwerpunkt vom Verkauf von Produkten auf das Bereitstellen von Dienstleistungen.
Um ein Beispiel aus der Industrie zu nehmen: Rolls-Royce verkauft seine Motoren nicht mehr nur an Fluggesellschaften, sonder stellt sie stundenweise anhand der von den Motoren erzeugten Leistung in Rechnung. Es bietet sozusagen „Thrust-as-a-Service“ (Antrieb als Dienstleistung). Fluggesellschaften müssen nun die Motoren nicht länger kaufen, betreiben und warten sowie Personal für Reparaturen schulen, Ersatzteile erwerben und lagern oder anderen damit verbundenen Verantwortlichkeiten nachkommen. Wenn ein Motor gewartet werden muss, kümmert sich der Hersteller darum. Und falls er ausfällt, stehen dem Benutzer außerdem Entschädigungen zu! Die Fluggesellschaft kann sich hingegen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren – den Transport von Passagieren. Rolls-Royce spezialisiert sich derweil darauf, einen erstklassigen und zuverlässigen Service für seine Motoren zu bieten.
Der Beleuchtungshersteller Philips bietet ein „Light-as-a-Service“ (Beleuchtung als Dienstleistung)-Programm mit dem Namen Circular Lighting an und kündigte an, diesen neuen Service in den Terminalgebäuden am Amsterdamer Flughafen Schiphol in den Niederlanden bereitzustellen. Der Flughafen zahlt dabei nur für das Licht, das er verwendet, während Philips der Eigentümer aller Vorrichtungen und Installationen bleibt und für alles verantwortlich ist, von derMontage über die Wartung bis zur Entsorgung am Ende der Standzeit.
Im Automobilsektor ist Volvo einer von mehreren Automobilherstellern, die ihr Geschäftsmodell neu erfinden, indem sie Fahrzeug-Abonnementdienste anbieten. Bei diesem Modell abonnieren die Kunden Fahrzeuge, anstatt sie zu kaufen oder gar zu leasen. Dabei überlassen sie die Wartung und die Aufrechterhaltung der Fahrtüchtigkeit des Autos dem Hersteller. Volvo sichert sich im Gegenzug mehr Kundennähe und kann die Markteinführungszeit für seine neuesten Innovationen, die den Bedürfnissen seiner Kunden entsprechen, beschleunigen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Bereitstellung eines Anything-as-a-Service-Modells einige potenzielle Risiken beinhaltet, einschließlich in Bezug auf das Corporate Branding sowie hinsichtlich des Betriebs und Finanzmanagements. Die Verbraucher gelangen vielleicht zu der Erkenntnis, dass sie es vorziehen, möglichst effizient von Punkt A zu Punkt B zu reisen, anstatt ein Auto einer prestigeträchtigen Marke zu fahren. Unternehmen müssen überdenken, wie ihre Marken einen Mehrwert bieten und sich dabei auf das Kundenerlebnis und die Dienstleistungen konzentrieren, anstatt nur auf Produkte. Nur so können sie weiterhin erfolgreich bleiben und die Treue ihrer Kunden bewahren.
Auf der operativen Ebene müssen Hersteller ihre Analyse- und Wartungsprozesse verbessern, um kostspielige Fehlerbehebungen zu vermeiden, da die Verantwortung für die Wartung jetzt bei ihnen und nicht bei den Abonnenten liegt. An diesem Punkt kommen Technologien wie eine KI-gestützte Anomalieerkennung ins Spiel. Prognosetools können ebenfalls dazu beitragen, Risiken zu verringern, indem sie Hersteller dabei unterstützen, den Bestand zu verwalten und Außendienstmitarbeiter effizienter zu entsenden. Und KI-gestützte digitale Assistenten (d. h. Chatbots) können mit Kunden in natürlicher Sprache interagieren, um bei Routineanfragen zu helfen, wobei Probleme nur dann an das Kundendienstpersonal weitergeleitet werden, wenn dies wirklich erforderlich ist.
Trotz dieser anfänglichen Herausforderungen können etablierte Hersteller, die als First Mover ihre Produkte als Service anbieten, einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern erzielen, die erst später nachziehen wollen. Die Einführung von Geschäftsmodellen auf der Basis von Abonnements reduziert auch Umsatzschwankungen, da die Verbraucher auch weiterhin für die erbrachte Dienstleistungen zahlen, solange der Hersteller ein hervorragendes Kundenerlebnis bietet.
Für Unternehmen, die diese Transformation vollziehen, ist klar, dass die Servitization viele einzigartige Chancen bietet. Durch die Bereitstellung von Dienstleistungen anstelle des Verkaufs von Produkten können Unternehmen neue Einnahmequellen erschließen, um ihre traditionellen Angebote zu ergänzen sowie um sich von ihren Wettbewerben zu differenzieren und die Kundenbeziehungen zu stärken. Indem sie die Erwartungen an die Servicebereitstellung übertreffen, können Unternehmen weitere Möglichkeiten wie ein Upselling und Cross-Selling ihrer Angebote eröffnen.
Der Übergang zu einem Servitization-Modell erfordert die Fürsprache durch die Führungsspitze und eine Änderung in der Unternehmenskultur, um die Anpassung an die neuen Umstände zu ermöglichen. Unternehmen werden Dienstleistungsplattformen entwerfen und betreiben, anstatt nur Produkte zu entwickeln. Eine derartige Transformation kann mit Sicherheit nicht über Nacht vollzogen werden und, um sicherzustellen, dass Ihr Unternehmen – und Ihre Marke – relevant bleiben, ist es entscheidend, dass Sie zum Early Adopter werden.