Michael Hickins | Content Strategist | 15. Juli 2024
Einzelhändler sind in der Regel eher zurückhaltend bei Technologieinvestitionen – insbesondere aufgrund ihrer geringen Gewinnspannen. Doch mittlerweile setzen sie verstärkt auf einen der bedeutendsten technologischen Fortschritte der letzten Jahre: künstliche Intelligenz.
Laut Fortune Business Insights werden die KI-Ausgaben im Einzelhandel im Jahr 2024 bei 9 Milliarden US-Dollar liegen und bis 2032 auf 85 Milliarden US-Dollar anwachsen – das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 32 %. Der Grund: Einzelhändler nutzen KI, um Umsätze und Kundenzufriedenheit zu steigern sowie Abfall und Kosten zu senken.
Künstliche Intelligenz beschreibt Technologien, die mithilfe von Algorithmen menschliches Denken nachahmen. Zu den Teilbereichen zählen maschinelles Lernen, Deep Learning und generative KI. Generative KI kann beispielsweise riesige Datenmengen verarbeiten und auf einfache Anfragen hin Texte oder Bilder erzeugen. Systeme für maschinelles Lernen wiederum analysieren große Datenmengen, lernen daraus, verbessern Prognosen und Entscheidungsfindung, bieten personalisierte Empfehlungen, automatisieren komplexe Aufgaben (z. B. durch Roboter in Produktionsstätten), erkennen Betrugsversuche und unterstützen zahlreiche weitere Anwendungsfälle.
Einzelhändler setzen KI aus ganz unterschiedlichen Gründen ein. So können KI-Systeme z. B. Marketingkampagnen erstellen, die sich gezielt an Einzelpersonen richten, statt nur auf demografische Gruppen. Dafür analysiert die Technologie Kaufverhalten, Browserverläufe und Chat-Protokolle, um individuelle Interessen zu erkennen. Auch bei der Warenpräsentation leistet KI wertvolle Dienste: Sie erstellt ansprechende Regaletiketten und Online-Inhalte oder macht Vorschläge für die optimale Platzierung von Produkten in Geschäften und auf E-Commerce-Websites. Ein weiteres wichtiges Einsatzfeld ist die Bedarfsprognose. KI hilft Einzelhändlern, den Warenbedarf präziser vorherzusagen – und so Preisnachlässe zu vermeiden sowie Lagerflächen effizienter zu nutzen.
Zudem kann KI genutzt werden, um Lieferwege zu optimieren: Sie analysiert Verkehrsdaten, Wetter, Straßensperrungen und weitere Faktoren, um die schnellsten und effizientesten Routen zu identifizieren. Im Kundenservice unterstützt KI beispielsweise durch intelligente Eingabehilfen, die Verkaufspersonal beim Cross- und Upselling unterstützen, oder durch Empfehlungen, mit denen Servicemitarbeiter nach dem Kauf passende Hinweise geben können.
Auch im Hintergrund kommt KI zum Einsatz – wie z. B zur Automatisierung repetitiver Aufgaben im Backoffice oder zur Umsatzsteigerung, indem Verkaufsteams in Echtzeit mit gezielten Handlungsempfehlungen versorgt werden. Hier folgen einige konkrete Anwendungsbeispiele.
Einzelhändler können KI gezielt einsetzen, um repetitive und fehleranfällige Aufgaben zu automatisieren – und dadurch Zeit und Ressourcen zu sparen. Ein zentrales Einsatzgebiet ist die Erhebung und Analyse von Daten aus internen und externen Quellen, um präzise Nachfrageprognosen zu erstellen. Diese helfen dabei, Sortimente besser zu planen, Mengen optimal zu bestimmen und die richtigen Produkte den passenden Filialen zuzuweisen. Auch bei der Preisgestaltung werden Einzelhändler von der KI unterstützt: Sie automatisiert die Erfassung und Auswertung von Daten wie internen Kostenstrukturen und Wettbewerberpreisen und verknüpft diese mit den Bedarfsprognosen. So lassen sich nicht nur optimale Preise definieren, sondern auch Schwellenwerte für Preisnachlässe festlegen, um bei Bedarf überschüssige Bestände effizient abzubauen. Darüber hinaus kann KI im Kundenservice eingesetzt werden, indem sie Antworten auf häufige oder klar strukturierte Anfragen automatisiert. So müssen Servicemitarbeiter nur noch in komplexeren Fällen eingreifen.
Ein Einzelhändler setzt generative KI ein, um relevante Informationen für seine Mitarbeiter bereitzustellen – wie z. B. Anleitungen zum Neustart einer abgestürzten Registrierkasse oder zur Unterstützung von Kunden bei der Anmeldung zum Treueprogramm. Ein KI-gestützter Chatbot ermöglicht den Mitarbeitern, Fragen zu stellen und erhält die passenden Antworten direkt aus einem zentralen Datenspeicher. Solche digitalen „Spickzettel“ sind im Einzelhandel besonders wertvoll – vor allem angesichts der hohen Mitarbeiterfluktuation in der Branche.
Der Einzelhandel steht kontinuierlich vor der Herausforderung, Verluste durch Schwund und überhöhte Lieferantenpreise zu minimieren. Um dem entgegenzuwirken, setzen immer mehr Einzelhändler auf den Einsatz von KI. KI kann beispielsweise genutzt werden, um Bestellungen mit den jeweiligen Lieferantenrechnungen abzugleichen und sicherzustellen, dass nur tatsächlich gelieferte Produkte berechnet werden. Darüber hinaus wird KI gezielt eingesetzt, um betrügerische Transaktionen zu erkennen – wie z. B. solche, die von Kassierern an der Kasse ausgelöst werden. Durch die Analyse von Videomaterial und Transaktionsdaten einzelner Mitarbeiter lassen sich verdächtige Vorgänge schnell identifizieren. Auch Videoaufzeichnungen mehrerer Filialen lassen sich mithilfe von KI auswerten. Die Systeme können ungewöhnliches Verhalten oder verdächtige Aktivitäten – zum Beispiel in Lagerbereichen, Gängen oder an den Kassen – erkennen und sofort Warnmeldungen versenden. Zusätzlich kann KI in Kombination mit klassischen Analyseverfahren dabei helfen, RFID-Daten und andere Sensordaten zu korrelieren. So lässt sich besser nachvollziehen, auf welchem Weg Artikel ein Geschäft verlassen haben.
Das gestiegene Nachhaltigkeitsbewusstsein der Verbraucher motiviert Einzelhändler zunehmend zur Abfallvermeidung. Mithilfe von KI identifizieren sie verderbliche Waren und empfehlen rechtzeitig Preisnachlässe oder Spenden vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums. Lebensmittelhändler, die eigene Produkte verpacken, setzen KI ein, um z. B. exakt zu berechnen, wie viel Fleisch in eine Standardverpackung passt – für maximale Effizienz bei Zuschnitt und Auswahl.
Auch Lieferketten profitieren: KI optimiert Routen basierend auf Echtzeit- und historischen Daten wie Wetter, Verkehrsaufkommen oder Sperrungen. Im Vergleich zur klassischen Datenanalyse kann KI diese komplexen Faktoren intelligent verknüpfen und gezielte Handlungsempfehlungen geben. Obwohl herkömmliche Datenanalysen bereits für einige dieser Aufgaben eingesetzt wurden, ist KI in der Lage, alle relevanten Elemente intelligent zu verknüpfen und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Einzelhändler nutzen KI zudem, um LKWs gemäß dem Lieferplan effizient zu beladen – so lassen sich Waren leichter entladen und die Fahrzeuge zügig zur nächsten Lieferadresse weiterleiten.
KI hilft Einzelhändlern, die Kundenzufriedenheit zu steigern, indem sie personalisierte Angebote erstellt. So entsteht für Kunden der Eindruck, das Sortiment sei speziell auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten – und nicht auf eine breite demografische Zielgruppe, der sie nur ähneln. Einzelhändler setzen dabei unterschiedliche Methoden ein – wie z. B. durch den Einsatz von GenAI zur Erstellung personalisierter Angebots-E-Mails oder durch KI-gestützte, individuell zugeschnittene Handels-Websites für Vielkäufer, basierend auf deren Kaufhistorie. KI kann auch dazu beitragen, herauszufinden, welche Anreize – wie z. B. Preisnachlässe, Produktauswahl oder personalisierte Beratung – bei bestimmten Kundengruppen besonders wirkungsvoll sind. Auf einer grundlegenderen Ebene kommen KI-gestützte Chatbots zum Einsatz, die schnell und effizient Kundenanfragen zu Produkten, Preisen oder dem Ladenlayout beantworten.
Durch den Einsatz von KI können Einzelhändler die Datenerfassung automatisieren und so Fehlerquellen bei manuellen oder sich wiederholenden Aufgaben minimieren. Das ist besonders relevant, da viele Händler noch immer mit Kalkulationstabellen arbeiten, was zu fehlerhaften Verkaufs- und Nachfrageprognosen führen kann. Diese Ungenauigkeiten wiederum beeinträchtigen die Warenverfügbarkeit – entweder werden Verkaufschancen verpasst oder es entstehen Überbestände.
KI hilft Einzelhändlern dabei, Nachfrageschwankungen besser zu bewältigen als klassische Analysetools – und eröffnet so Einsparpotenziale in nahezu allen Geschäftsbereichen. Durch präzisere Verkaufsprognosen auf Filialebene können beispielsweise Lagerkosten gesenkt, Nachschubprozesse effizienter gestaltet und Personalkosten durch optimierte Einsatzplanung reduziert werden. Einzelhändler nutzen auch KI-gestützte Verkaufsprognosen, um beliebte Produkte in ausreichender Menge zu bestellen und so bessere mengenabhängige Rabatte mit Lieferanten auszuhandeln. Zudem trägt KI zur Senkung der Arbeitskosten bei, wie z. B. durch die Reduzierung von Routineanfragen im Kundenservice, die Minimierung von Schwund und Verschwendung, die Vermeidung von Fehlern sowie durch Empfehlungen zur Anpassung der Öffnungszeiten – basierend auf zeitabhängigen Verkaufsanalysen – zur Senkung des Energieverbrauchs.
Weltweit setzen Einzelhändler KI vielfältig ein: Sie unterstützen Mitarbeiter dabei, Warenkörbe zu vergrößern, indem Servicemitarbeiter gezielt mit Informationen versorgt werden, um Stammkunden besser zu betreuen. Gleichzeitig hilft KI dem Backoffice, fundierte Entscheidungen zu treffen – wie z. B. bei Personalplanung, Lagerverwaltung, Warenpräsentation und Einkauf. Hier sind acht Beispiele aus der Praxis.
Ein großes US-Warenhaus nutzt einen KI-basierten Chatbot, der Kunden bei der Orientierung im Geschäft hilft. Über eine App auf dem Smartphone können sie gezielt nach dem Standort bestimmter Produkte fragen oder prüfen, ob ein Artikel vorrätig ist. Der Chatbot erkennt sogar anhand der Spracheingabe, wenn eine Person frustriert ist, und informiert in solchen Fällen automatisch einen Mitarbeiter, der persönliche Unterstützung leisten kann.
Bekleidungshändler setzen KI ein, um ihren Kunden die Auswahl der passenden Größe zu erleichtern. Ein Händler nutzt KI-basierte Touchscreen-Spiegel in Umkleidekabinen, mit denen Kunden Kleidungsstücke virtuell anprobieren können – ohne sich umziehen zu müssen. Ein anderer Händler hat eine App entwickelt, mit der Kunden direkt aus der Umkleidekabine heraus um eine andere Größe bitten können. Die App schlägt zudem auf Basis der bisher anprobierten Kleidung weitere passende Artikel vor.
Ein US-amerikanischer Lebensmittelhändler verwendet sensorbasierte Regale in Kombination mit KI-Analysen in der Kunden-App, um gezielte Produktempfehlungen zu geben – z. B. glutenfreie Produkte für Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen, basierend auf dem bisherigen Einkaufsverhalten.
Ein Möbelhaus kombiniert Online- und Offline-Erlebnisse, indem es mithilfe von KI Produktempfehlungen in seinen Filialen generiert. Grundlage dafür sind die Einrichtungspräferenzen der Kundschaft – wie z. B. Inhalte, die sie auf Pinterest gespeichert haben. So werden Designideen gezielt in konkrete Kaufempfehlungen übersetzt.
Ein Händler für Outdoor-Bekleidung und -Schuhe hat eine App auf Basis kognitiver Datenverarbeitung eingeführt, die das menschliche Denkverhalten nachahmt. Die App fragt Kunden, wo und wann sie ein bestimmtes Produkt einsetzen möchten, und empfiehlt daraufhin passende Outfits, die optimal auf die geplanten Aktivitäten abgestimmt sind.
Ein Luxuskaufhaus setzt KI ein, um das Inventar nach Artikeln zu durchsuchen, die mit Kundenfotos übereinstimmen. Falls der exakt gesuchte Artikel nicht verfügbar ist oder nicht von der Marke geführt wird, schlägt die App automatisch optisch ähnliche Produkte vor, die ebenfalls zum Stil des Kunden passen könnten.
Ein Shopping-Club bietet eine KI-basierte App an, die Kunden den effizientesten Weg durch das Geschäft zeigt, um ihre Einkaufsliste schnell abzuarbeiten. Anschließend können sie direkt über die App bezahlen – ganz ohne Wartezeiten an der Kasse.
Ein internationaler Fast-Fashion-Händler nutzt KI, um Verkaufsdaten und Rückgaben zu analysieren und so das Sortiment pro Filiale zu optimieren. Der Algorithmus erkennt, welche Produkte verstärkt beworben oder in größerer Menge vorrätig sein sollten – und auch, wenn ein Trend schneller abflacht als erwartet. So können Bestellmengen rechtzeitig angepasst und sowohl Abschriften als auch Überbestände reduziert werden.
Einzelhändler weltweit setzen Oracle Retail AI Foundation ein, um fundiertere Entscheidungen in Bezug auf Preisgestaltung und Platzierung von Beständen zu treffen, Prognosen und Einkaufsprozesse zu optimieren und Kunden gezieltere Angebote zu unterbreiten. Mit den Oracle Retail Cloud-Anwendungen, die KI- und Machine-Learning-Funktionen integrieren, erhalten Einzelhändler leistungsstarke Tools, um die tatsächliche Nachfrage besser zu verstehen, Preisstrategien zu verfeinern und durch erweiterte Affinitätsanalysen zu erkennen, wie einzelne Kaufentscheidungen durch vorherige Käufe beeinflusst werden.
Wie kann KI der Einzelhandelsbranche helfen?
Einzelhändler können KI nutzen, um sich wiederholende Aufgaben zu automatisieren und zu reduzieren. Dadurch können sie ihre Ressourcen für strategischere Zwecke einsetzen, Fehler reduzieren und Bedarfsprognosen verbessern, was zu höheren Gewinnspannen führt.
Was sind die Vorteile von GenAI für die Einzelhandelsbranche?
Eine zentrale Stärke von GenAI im Einzelhandel liegt in der Erstellung hochgradig personalisierter Marketingtexte – wie z. B. für E-Mails –, die in unbegrenzten Varianten kombiniert und getestet werden können, um herauszufinden, welche Version die besten Ergebnisse erzielt.
Was sind die Vorteile von dialogorientierter KI im Einzelhandel?
Einzelhändler können dialogorientierte, KI-gestützte Chatbots einsetzen, um grundlegende Kundenfragen zu beantworten, sodass sich menschliche Servicemitarbeiter auf komplexere Anliegen konzentrieren können, die von der KI nicht gelöst werden können.
Erfahren Sie, wie Einzelhandelsunternehmen KI nutzen können, um das Unvorhersehbare vorherzusagen.